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Ein Spiel wie der erste Liebeskummer

  • Autorenbild: Frederik Malsy
    Frederik Malsy
  • vor 6 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

Eine Parabel über das Erwachsenwerden. Und ja: Diese Rezension enthält Spoiler.


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Wenn ein Spiel aussieht wie eine Mischung aus Studio Ghibli mit Räucherstäben und einem Kuscheltier mit posttraumatischer Belastungsstörung, rechnet man nicht damit, es mit einem Seufzen zu schließen – nicht aus Frust, sondern aus etwas, das in der Spielekritik selten vorkommt: Rührung.


Eila und das glitzernde Etwas ist ein erzählbasiertes Kampagnenspiel für ein bis drei Personen – und im Kern ein Solospiel. Über mehrere Kapitel hinweg begleiten wir Eila, ein junges Kaninchen, das auf dem Berg ein geheimnisvolles, schimmerndes Objekt entdeckt. Die Prämisse klingt nach Kinderbuch, doch was folgt, ist poetischer als verspielt, ernster als niedlich – und manchmal schmerzhaft.

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Die Mechanik ist schlicht: Karten lesen, Entscheidungen treffen, Ressourcen managen. Kein Nervenkitzel, keine brillante Spielinnovation. Aber diese Reduktion ist Programm. Eila will nicht glänzen. Es will erzählen. Und zwar eine Geschichte, die leise beginnt, sich langsam entfaltet und am Ende in einer emotionalen Tiefe mündet, die überrascht – gerade, weil sie so still bleibt.


Eila ist ein Kaninchenmädchen – eine Mischung aus Alice und Heidi, ohne den Übermut des Menschen – in einer Welt, die sich bald als brüchig erweist: voller Prüfungen, Verluste, bitterer Einsichten. Das „glitzernde Etwas“ ist mehr als ein MacGuffin. Es steht für Hoffnung, Sehnsucht, das diffuse Versprechen von Zukunft. Für das Streben nach etwas, das man noch nicht versteht – genau wie das Erwachsenwerden selbst. Es verspricht Zartheit und bringt Verlust. Es suggeriert Leichtigkeit und ist oft Arbeit. Es lockt mit bunten Farben und bringt Dunkelheit. Es nährt das Bedürfnis nach Geborgenheit, Zugehörigkeit und Liebe. Und kann einsam enden. So hat sich der erste Liebeskummer auch angefühlt. Liebe Grüße an Lisa.


Was dieses Spiel so bemerkenswert macht, ist seine Fähigkeit, uns den Spiegel vorzuhalten. Kapitel für Kapitel zwingt es zu Entscheidungen, bei denen es kein „richtig“ gibt – nur Varianten des Unvermeidlichen. Das wirkt düster – und ist es auch. Aber auf leise Weise. Wie ein alter Freund, der bei einer Tasse Tee gesteht, dass er nie wirklich glücklich war.


Die Stärke von Eila liegt nicht im Was, sondern im Wie. Entscheidungen wirken nicht bedeutungsvoll, weil sie das Spielsystem beeinflussen – sondern, weil sie berühren. Jedes Kapitel endet anders. Udo Bartsch schrieb, keines der Enden habe sich belohnend angefühlt. Er hat zwar Recht. Aber das gehört integral zum Spielerlebnis. Und daher komme ich zu einem anderen Schluss: Das Leben besteht oft aus Kompromissen, aus Momenten, aus denen wir vielleicht nicht glücklich, aber gewachsen hervorgehen. Als Spieler:innen wollen wir eine befriedigende Auflösung, suchen die Belohnung und die Bestätigung, im Spiel alles richtig gemacht zu haben. Eila tut etwas, das in unserer Welt selten geworden ist: Es entschleunigt. Es entzieht sich. Es verweigert den schnellen Kick und die Bestätigung.


In dieser Verweigerung liegt eine stille Kritik: In einer Welt, die an das Sofort glaubt – in der Bedürfnisse erkannt und sofort befriedigt werden sollen – wird Verzicht zur Provokation. Eila fordert genau das: Verzicht auf Tempo, auf narrative Eindeutigkeit, auf den dramaturgischen Höhepunkt. Es stellt die Sinnfrage – und überlässt die Antwort den Spieler:innen.


Natürlich ist Eila nicht perfekt. Die narrative Uneindeutigkeit, die im Spiel erlebbar wird, findet sich stellenweise auch in der Anleitung. Das ist schade und lässt ein an sich einfaches Spiel mitunter sperriger wirken als es ist.


Auch die Spielbalance ist nicht immer rund. Gelegentlich spürt man eine didaktische Hand, die Entscheidungen pädagogisch auflädt, statt sie einfach erzählen zu lassen. Und dann ist da die emotionale Wucht: Wer das Spiel mit Kindern beginnen will und sich plötzlich in Gesprächen über Verlust, Erinnerung und das Ende von Unschuld wiederfindet, könnte überfordert sein. Ich habe das Spiel allein gespielt – und mehrfach mit einem Kloß im Hals und Tränen in den Augen dagesessen.


Nach vielen Entscheidungen, einigen Verlusten und spielerisch eher monotonen Kämpfen bleibt eine Frage zurück: Warum streben wir? Eila ist kein Spiel, das man „schafft“. Es ist eines, das man durchlebt. Es erinnert uns daran, dass Erwachsenwerden nicht bedeutet, stärker zu werden – sondern weicher. Nicht, viel zu erreichen – sondern da zu sein, wenn es zählt.


Es ist ein Spiel, das sich traut, nicht zu gefallen. Und gerade dadurch unvergesslich wird. Wer sich darauf einlässt, wird belohnt: Nicht mit einem Hochgefühl, sondern mit einem der seltenen Brettspielerlebnisse, die bleiben – nicht nur im Gedächtnis. Auch im Herzen. Ein Spiel, in dem man sich selbst findet und erkennen kann. Durch Stille. Und das ist selten. Fast so selten wie das Gefühl, beim Spielen ein besserer Mensch geworden zu sein – oder zumindest ein etwas nachdenklicherer.


Ein herausragendes Spiel – gerade, weil es weniger gibt, als wir gewohnt sind. Und mehr, als wir vielleicht suchen.

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Eila und das glitzernde Etwas von Jeffrey CCH, 2021. Deutsche Ausgabe bei Mirakulus

 

 
 
 

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