Ich bin ein emotionaler Mensch. Manchmal lasse ich mich zu früh von einer Begeisterung mitreißen, die sich nach einiger Zeit als voreilig herausstellt. Dann muss ich zurückrudern und eingestehen, dass ich allzu schnell geurteilt habe. Ein möglicher Gesichtsverlust oder zumindest wissendes Grinsen aus meinem Freundeskreis oder meinen Spielerunden sind mir dann gewiss. Sei´s drum – Fehler und Irrtümer einzugestehen ist mehr Stärke als Schwäche, auch, wenn es wenig Spaß macht.
In meiner Podcastfolge über die BerlinCon 2024, die ich mit Stephan Hanf im Auto auf dem Rückweg aufgenommen habe, habe ich – nach zwei gespielten Partien – über „Intarsia“ gemutmaßt, dass hier schon „Spiel des Jahres“-Vibes spürbar sind. Mittlerweile sehe ich das anders.
Das Fliesen von Wänden mit prächtigen portugiesischen Kacheln und das Einarbeiten von kunstvollen Einlegearbeiten im Fußboden (Intarsien) sind anspruchsvolle kunsthandwerkliche Tätigkeiten. Beiden Themen hat Michael Kiesling ein eigenes Spiel gewidmet.
Eines davon – „Azul“ (2017) – ist hochgelobt, vielfach ausgezeichnet und seitdem in mehreren Iterationen zu einem echten Klassiker geworden. Das andere – „Intarsia“ (2024) – ist in diesem Jahrgang neu erschienen und muss sich nun einige Vergleiche gefallen lassen. Doch der Reihe nach.
Wenn ich Wände mit Fliesen oder Fußböden mit Intarsien verzieren möchte, brauche ich handwerkliches Geschick sowie einen Sinn für Ästhetik und einen kreativen Ausdruck. Über „Azul“ urteilte Tom Felber, seinerzeit Vorsitzender der Jury, die „Azul“ 2018 zum „Spiel des Jahres“ kürten:
«Azul» überzeugt als Familienspiel ohne Einschränkungen durch den grossen Wiederspielreiz, die spezielle Optik, die schöne Haptik und die gute Mischung von Taktik und Glück.
Eine großartige Optik und Haptik bietet „Intarsia“ ebenfalls: Wunderschöne farbige Holzrahmen und passende Ornamente, die ich nahezu fugenlos ineinanderfügen kann – das ist wirkliche Präzisionsarbeit und lässt die Spiele, die vor allem durch Plastikmasse auffallen, vor Neid erblassen. Die Gestaltung von Lukas Siegmon ist wieder einmal wunderschön und die Produktionsqualität vorbildlich.
Während ich bei „Azul“ den Palast des portugiesischen Königs verzieren soll, bewerbe ich mich bei „Intarsia“ um die Stelle als Bodenleger im historischen „Café de Paris“. Dazu muss ich über drei Runden den punkteträchtigsten Boden zusammenpuzzeln.
Zwei Kernelemente sind hier mechanisch miteinander verfugt: Ein Bezahlmechanismus über farbige Karten, die mir beim Bezahlen immer wieder Karten zurück auf die Hand bringen (eine weniger, als ich ausgegeben habe und stets in einer anderen Farbe als die, mit der ich bezahlt habe) sowie die Entscheidung, auf welche Wertung ich mich fokussiere.
Möchte ich möglichst viele „Bodenkreuze“ legen, die von Runde zu Runde wertvoller werden und einen schönen Punktemultiplikator haben? Oder konzentriere ich mich darauf, einige wenige meiner Intarsien möglichst weit zu entwickeln, weil sie dann am Spielende erheblich mehr Punkte bringen? Oder ziehe ich es vor, möglichst abwechslungsreich zu bauen, um mir unterschiedliche Werkzeugplättchen zu sichern, die Vielfalt belohnen und viele Punkte kumulieren, wenn ich gleichartige Werkzeugplättchen ergattern kann?
Blöd nur: Auch meine Konkurrent:innen versuchen, sich diese Plättchen zu sichern. Das führt zu einem schönen Gerangel, bei dem jedoch meist der Startspieler oder die Startspielerin einen Vorteil hat. Ein Grund mehr, gut zu planen und möglichst lange im Spiel zu bleiben. Wer zuletzt passt, darf in der nächsten Runde beginnen.
Die Mechanik, gleichfarbige Karten zum Bau der Ornamente abzugeben und Anzahl Karten minus eins in einer anderen Farbe zurückzuerhalten, bringt mir in jeder Runde ein kleines angenehmes Belohnungsgefühl und ist durchaus reizvoll. Sie lädt mich zu einer genauen Planung und Vorbereitung ein: Wenn ich erst diese drei Karten in lila spiele, bekomme ich zwei grüne Karten. Wenn ich die spiele, nehme ich eine gelbe und mit den drei anderen gelben kann ich nun…
Leider mache ich in diesem Spiel aber nahezu nichts außer planen, Holzteile bezahlen, Ornamente legen und zwischendurch mal eine Wertung ausführen. Das Spiel ist strukturiert, schematisch und gleichförmig. Wenn die Holzteile auf dem Plan liegen, sieht das schön aus. Allerdings passiert nicht viel mehr. Die emotionale Amplitude zeigt in etwa den gleichen Ausschlag, wenn ich in einem Baumarkt Holzteile kaufen gehe.
Ich habe es in mehreren Gruppen gespielt in ganz unterschiedlichen Konstellationen. Am Anfang waren alle – so wie ich auch – schwer beeindruckt vom Material und der Gestaltung. Spätestens nach einer zweiten Partie waren aber die Wenigsten erneut für das Spiel zu begeistern. Es fühlt sich immer absolut gleich an, selbst wenn ich unterschiedliche Wege für die Wertungen einschlage. Das, was ich hier tue, nutzt sich sehr schnell ab.
Während ich bei „Azul“ eine starke Interaktion durch die Auswahl der Plättchen habe, ich meine Gegner:innen zwingen kann, Minuspunkte zu kassieren, ich selbst Risiken eingehe und manchmal saftige Minuspunkte erhalte, so puzzle ich bei „Intarsia“ recht emotionslos einen Boden zusammen. Das ist für wenige Partien nett, ein langfristiger Spielreiz stellt sich aber nicht ein.
Intarsien verlegen und Fliesen montieren haben – siehe Anfang – eine handwerkliche und eine künstlerische Komponente. Der Fliesenkitt bei „Azul“ sind eine ordentliche Interaktion und starke emotionale Momente. Das sorgt für einen enormen Wiederspielreiz.
Bei „Intarsia“ hätte ich mir ein paar mehr Haken und Ösen im sonst so feingeschliffenen Boden gewünscht, über die ich meine Mitspieler:innen stolpern lassen könnte. Ich mache irgendwie immer mehr oder weniger das gleiche. Das funktioniert alles, lässt mich aber nach kürzester Zeit einigermaßen unbeeindruckt zurück. „Azul“ ist Kunst. „Intarsia“ ist sauberes Handwerk.
Als emotionaler Mensch ärgere ich mich augenzwinkernd, dass mir Udo Bartsch in seiner Rezension den Kernbegriff vorweggenommen hat, mit dem ich das Spielgefühl von Intarsia am Treffendsten beschreiben kann: hölzern.
"Intarsia" von Michael Kiesling. 2024 erschienen bei "Deep Print Games", im Vertrieb von "Pegasus". Graphische Gestaltung: Lukas Siegmon.
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