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  • AutorenbildFrederik Malsy

Dieses Spiel macht glücklich.

Aktualisiert: 13. März

Selten habe ich mich in einem Spiel so intensiv mit meinen Mitspielenden verbunden gefühlt. Bei Ritual wollen wir ein schweigendes Einverständnis finden und können die Aufgabe nur mit bedingungsloser gegenseitiger Unterstützung bewältigen. Das Ziel ist lohnend, der Weg ist steinig.

bunte Acrylsteine und Karten für das Spiel "Ritual"

Ein Idealzustand, den ich beim Spielen gerne erlebe, ist der Flow. Der perfekte Korridor zwischen Überforderung und Unterforderung. Der Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi hat dieses Phänomen in seinem Buch „Flow – das Geheimnis des Glücks“ (1) ausführlich beschrieben. In der bei Wikipedia verkürzten Definition ist Flow das „als beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung (Konzentration) und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit, die wie von selbst vor sich geht – auf Deutsch in etwa Schaffens- bzw. Tätigkeitsrausch oder auch Funktionslust.“ (2)


Sperriger kann eine Rezension nicht starten als direkt mit einer Definition ihres Kernbegriffs. Doch genau das hat sie mit dem Spiel gemein: Bevor der Flow entsteht, braucht es etwas Übung und Verständigung sowie meist einige Probepartien und eine Ahnung dessen, worauf wir uns einlassen. Denn das, was wir kooperativ tun müssen, ist leicht. Wie und wann wir es tun, nicht.


Dabei lockt Ritual so schön und mit verheißungsvoll bunten Acrylsteinchen in 5 Farben. Als Spielende verkörpern wir Schaman:innen und möchten gemeinsam ein Ritual durchführen, zu dessen Vorbereitung alle Mitspielenden eine geheime Aufgabenkarte erhalten.


Das Ziel ist es, eine bestimmte Kombination farbiger Steine in der eigenen Auslage zu haben. Um das Ritual starten zu können, müssen drei Spieler:innen ihre Aufgabe erfüllen. Die erste Person, die das schafft, bekommt dann eine Karte mit dem großen Ritual. In Runde zwei besteht das Finale aus zwei weiteren Aufgaben, in der dritten Runde aus drei. Sprechen ist in Ritual verboten.


Durch das Geben, Nehmen und Tauschen von Steinchen versuchen wir als Gruppe, möglichst schnell die drei Aufträge zu schaffen, um früh mit dem Ritual zu beginnen.


Das Knifflige: Wir starten mit vier Steinchen in zufälligen Farben. Insgesamt sechs Aktionen stehen uns zur Verfügung und reihum führen wir abwechselnd immer genau eine davon aus. Schweigend und unter Zeitdruck. Eine App schafft Atmosphäre mit fordernden und mystischen Trommel-Rhythmen sowie einem Countdown, der uns unerbittlich zu Eile und Präzision mahnt.


Je nach Schwierigkeitsstufe („Lehrling“, „Geselle“, „Meister“ oder „Guru“) und Anzahl der Mitspielenden (2-6) haben wir nur wenige Minuten Zeit, um die drei Aufgaben zu absolvieren und schließlich das große Ritual zu vollenden, das wiederum aus einer Zuordnung unterschiedlich farbiger Steine besteht.


Zur Erinnerung: Wir kennen die Aufgaben der anderen nicht. Und wir haben keine Möglichkeit, über unsere Aufgaben zu sprechen. Ja, wir wissen nicht einmal, wessen Auftrag wir zuerst erfüllen sollen. All das wird nur über die Aktionen kommuniziert.


Dabei entsteht eine Art Meta-Sprache, bei der ich immer abgleiche: Was möchte mir mein Gegenüber mitteilen? Tauscht es meinen roten Stein gegen einen gelben, weil es denkt, dass ich diesen benötige? Oder ist das ein Hinweis darauf, dass es selbst den Stein benötigt? Oder ist der Tausch eine subtile Einladung, einen Stein für eine weitere Person zur Verfügung zu stellen?


Diese Meta-Kommunikation, die hierbei entsteht, erscheint zunächst abstrakt und etwas sperrig. Im Idealfall verzichten wir vollständig auf Gesten, Mimik, Geräusche, Be- oder Missfallensbekundungen, heftiges Nicken oder Kopfschütteln, Stöhnen, Seufzen, Quieken oder welcher Kommunikation wir uns auch immer bevorzugt am Spieletisch bedienen. Wir senden allein durch das Tauschen, Nehmen und Geben der Steinchen Codes, die uns gegenseitig Hinweise geben.


Jeder einzelne Stein, der gelegt wird, kommuniziert uns etwas. Jeder Stein wird mit einer Absicht, einer Bedeutung platziert. Diese Absicht zu erkennen, ist der Kern von Ritual. Das Spiel kann nur gelingen, wenn wir uns ganz aufeinander einlassen und wirklich versuchen, einander zu verstehen. Es hilft, die Konvention, möglichst schnell den eigenen Auftrag zu erfüllen, zu brechen und dabei erleben, wen wir als Gruppe beim Erfüllen der Aufgabe zu unterstützen.


Anders als in vielen Spielen, bei denen das Thema das Spiels künstlich aufgesetzt wurde, passt es hier perfekt: Ritual führt uns zurück zu unseren Wurzeln und vermittelt das fast schon archaische Gefühl, Verantwortung für die Gruppe zu übernehmen und das eigene Ego zugunsten aller zurückzustellen. In Zeichen einer zunehmend egoistischen Gesellschaft ein wohltuendes Erlebnis. Wären unsere Haltung und Kommunikation immer so, die Menschheit hätte weniger Probleme.


Wenn wir als Gruppe fokussiert und konzentriert bei der Sache sind, entdecken wir plötzlich die Zeichen, die uns unsere Mitspieler:innen geben. Die Matrix öffnet sich. Wir sind immer mehr im Flow und leben die Funktionslust und den Tätigkeitsrausch voll aus. Darin erleben wir – wenn alles klappt - eine tiefe Verbundenheit. Und wenn es nicht klappen sollte, helfen gegenseitige Schuldzuweisungen nichts. In diesem kooperativen Spiel geht es nur darum, die richtigen Zeichen zu setzen und zu deuten. Und dann zu schauen, wie wir als Gruppe immer besser und besser werden.


Von Anfang an sind wir das selten. Ich habe das Spiel mittlerweile in sehr vielen unterschiedlichen Gruppen und Konstellationen gespielt. Das Scheitern am Anfang ist meist vorprogrammiert. Die Befriedigung danach, es geschafft zu haben, ist umso größer. Oder – um es mit den Worten des Autors zu sagen, der uns Ritual auf der SPIEL 23 in Essen beigebracht hat: „As a group, you can make mistakes. Make them fast.“ (dt.: „Ihr dürft als Gruppe Fehler machen. Macht sie schnell“).


Die Lernkurve ist steil, die Erschöpfung nach 1-2 Partien allerdings auch. Die Konzentration fordert ihren Tribut und der besteht oft aus einer Pause mit einem leichteren Spiel. In nahezu allen Gruppen wurden aber sehr schnell Folgepartien gefordert, der Wiederspielreiz ist hoch. Es empfiehlt sich, Ritual mit ähnlichen oder gleichen Gruppen zu spielen, damit man nicht immer „nur“ das erste Level absolviert. Für die späteren Level hilft Erfahrung.


Wenn nach drei Runden alle Steine ihren Platz gefunden haben, alle Aufgaben erfüllt sind und das große Ritual abgeschlossen ist, bleibt als Belohnung etwas Wunderbares zurück: Das glückliche Gefühl, als Gruppe füreinander Verantwortung übernommen zu haben und in Verbundenheit einen tiefen Flow erlebt zu haben.


 

Ritual ist ein Spiel von Tomás Tarragón und erscheint im März 2024 auf deutsch bei Strohmann Games www.strohmann-games.de


Diese Rezension bezieht sich auf das Material und die Regeln der englischsprachigen Original-Ausgabe. In der deutschsprachigen Ausgabe scheinen laut Aussage des Verlags die Regeln identisch zu sein, an der Gestaltung und dem Material gibt es einige Änderungen. Im Kern ist es natürlich das gleiche Spiel.


Quellen:

Mihaly Csíkszentmihályi: Flow. Das Geheimnis des Glücks. 4. Auflage. Klett-Cotta, Stuttgart 1995





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